Erweiterung des Horizonts der NATO: Klimawandel und Energieabhängigkeit als Bedrohungen der Sicherheit

Logo der Studie: "National Security and the Threat of Climate Change", © 2007 The CNA Corporation

2. März 2009
Von Sherri Goodman und David Catarious
Von Sherri Goodman und David Catarious

Auch in den nächsten Jahren wird die NATO wie immer auf internationale Krisen reagieren. Die NATO-Strategie sollte darüber hinaus jedoch zwei bedeutende und miteinander verbundene Bedrohungen in ihre Überlegungen einbeziehen, die derzeit nicht nur die Lage einzelner Länder, sondern des ganzen Planeten verändern: den weltweiten Klimawandel und die Frage der Energiesicherheit.

Klimawandel als „Bedrohungsmultiplikator“
Die Auswirkungen des Klimawandels gefährden ernsthaft die Stabilität zahlreicher Regionen in der ganzen Welt. Das ist das Ergebnis, zu dem „National Security and the Threat of Climate Change“ kommt, ein Report des Center for Naval Analysis (CNA) aus dem Jahr 2007, verfasst von einem Military Advisory Board (MAB), der aus elf der anerkanntesten Drei- und Viersterneadmiräle und –generäle der USA bestand.
Der MAB stellte fest, dass der Klimawandel in einigen der labilsten Regionen der Welt als „Bedrohungsmultiplikator“ wirken kann, indem er wirtschaftliche, ökologische und gesellschaftliche Instabilität verursacht – das heißt, jene Arten von Bedrohungen, die schon von der derzeitigen strategischen Doktrin der NATO erkannt worden sind.
Wie der Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) hervorragend dokumentiert hat, betrifft die Mehrzahl der direkten Auswirkungen des Klimawandels die Umwelt: steigende Meeresspiegel, zunehmende Häufigkeit und Heftigkeit von Dürreperioden, Hitzewellen und Überschwemmungen, schmelzende Gletscher, austrocknender und unfruchtbarer Boden, wegrutschende und verschüttete Wohnsiedlungen und Ausbruch von Seuchen, zunehmende Stärke von Hurrikans und anderen Stürmen.
Diese Umweltbedingungen werden ihrerseits Auswirkungen auf die Bevölkerungen haben, indem sie die Wasserversorgung gefährden, die langfristige landwirtschaftliche Produktivität einschränken, die Gesundheit der Menschen angreifen und die Bevölkerung zur Umsiedlung zwingen. Wenn einzelne Staaten und ganze Regionen außerdem zu begreifen beginnen, dass sie nicht in der Lage sind, mit den Folgen des Klimawandels angemessen fertig zu werden, wird sich zusätzlich ein Ressentiment gegenüber der entwickelten Welt aufbauen, weil sie für die Folgen, die diese Regionen zu tragen haben, verantwortlich gemacht wird.

Die Destabilisierung der Welt
Der Klimawandel wird die bereits spärlichen Lebensstandards, die Armut und den Mangel an staatlicher Legitimität in vielen Ländern Asiens, Afrikas und des Mittleren Ostens verschärfen, wo weit verbreitete politische Instabilität und gescheiterte Staaten bereits jetzt Bedrohungen der internationalen Sicherheit darstellen. In Asien hängt die Trinkwasserversorgung hunderter Millionen Menschen von Gletschern ab, die schon Mitte des Jahrhunderts vielleicht nicht mehr existieren werden. In Afrika zerstört die zunehmende Ausbreitung der Wüste schon jetzt Land, das für Feldfrüchte und Tiere wichtig wäre; oft wird auf den Klimawandel als eine Ursache des Völkermords in Darfur hingewiesen. Im Mittleren Osten wird Wasser immer kostbarer werden, wenn ansteigende Meere sich in wertvolle Grundwasserreservoirs ergießen.
In schwachen und gescheiterten Staaten mit ohnehin schon großen Problemen werden solche Bedingungen immer größere gesellschaftliche Unruhen und einen wachsenden Hang zum Autoritarismus und zu radikalen Ideologien hervorrufen. Als Resultat dieser Entwicklung wird sich die internationale Gemeinschaft stärker in humanitären Unterstützungsaktionen und in der Katastrophenhilfe engagieren müssen.
Das vielleicht gefährlichste und destabilisierendste Ergebnis des Klimawandels wird die massenhafte Völkerwanderung in den Ländern sein, die mit der Krise nicht fertig werden können. Migration innerhalb von Ländern und Regionen und über Ländergrenzen hinaus rufen innere Unordnung, Armut und Entrechtung hervor und erschweren und gefährden ein effektives Regieren. Viele Mitgliedstaaten der NATO bekommen bereits den Druck der Migration zu spüren, die durch die wirtschaftliche Ungleichheit angeheizt wird; der Klimawandel wird diesen Druck nur verstärken. Bei einer immer noch wachsenden Weltbevölkerung – allein in den letzten zwölf Jahren ein Zuwachs von einer Milliarde Menschen – wird der durch Migrationsbewegungen erzeugte Druck in den kommenden Jahrzehnten erhebliche Probleme schaffen.
Das Schmelzen der arktischen Eisschicht könnte der erste Test für die Auswirkungen des Klimawandels auf einige NATO-Mitglieder werden, darunter die USA, Kanada, Norwegen, Island und Dänemark. Wenn die Eisschicht im Arktischen Ozean schmilzt, werden sich diese Länder und Russland um die Ansprüche auf die Ressourcen und wertvollen Rohstoffe streiten, an die heranzukommen bisher zu schwierig war. Im August 2007 haben die Russen versucht, ihr Gebiet abzustecken, indem sie in 4000 Meter Tiefe unter dem Nordpol ihre Flagge einpflanzten. Wenn das Eis weiterhin immer dünner wird und schmilzt und die Nordwestpassage mehr und mehr zu einer gangbaren Route wird, dann werden die rechtlichen Auseinandersetzungen und der Wettbewerb um die Ressourcen heftiger.
Der Generalsekretär der NATO, de Hoop Scheffer, hat die Probleme, die in der Arktis entstehen, bereits erkannt. Im Januar 2009 erklärte er: „Obwohl die langfristigen Implikationen des Klimawandels und des Rückgangs der Eisschicht in der Arktis noch unklar sind, so ist doch sehr klar, dass der Hohe Norden in den nächsten Jahren deutlich mehr Aufmerksamkeit seitens des Bündnisses beanspruchen wird. Hier im Hohen Norden ist der Klimawandel nicht irgendein nebulöser Gedanke – er ist bereits eine Realität.“

Die Suche nach Energie
Der Kampf um die Bewältigung der Folgen des Klimawandels findet zur selben Zeit statt, in der die Welt sich gezwungen sieht, die Art und Weise ihres Energieverbrauchs fundamental zu verändern. Das Zeitalter billiger fossiler Energien wird in den nächsten paar Jahrzehnten endgültig zu Ende sein, ganz gewiss, bevor die Welt sich darauf eingerichtet hat. Um das Ausmaß des Fortschritts zu sichern, wie wir es im 20. Jahrhundert gewohnt waren, müssen neue und sichere Energiequellen erschlossen und entwickelt werden, die nachhaltig, zugänglich und bezahlbar sind. Während es unzählige Gründe für die Abkehr von den fossilen Energien gibt (der Klimawandel eingeschlossen), sieht die Realität so aus, dass wir bald keine andere Wahl mehr haben, als unsere Energieversorgung zu diversifizieren.  Es wird nämlich einfach nicht mehr genug Öl gefördert werden, um all die Fässer zu füllen, nach denen es die Welt dürstet.
Bevor nicht nachhaltige und sichere Energiequellen erschlossen worden sind, werden die Mitglieder des NATO-Bündnisses – wie der Rest der Welt auch – von der staatlich kontrollierten Versorgung durch die öl- und gasreichen Länder abhängig und dadurch angreifbar sein. Die Abhängigkeit der NATO von diesen Staaten macht die Außenbeziehungen komplizierter und zwingt zu undankbaren Kompromissen in Fragen wie Menschenrechten und Förderung der Demokratie. Diese Abhängigkeit macht auch extrem angreifbar durch Lieferunterbrechungen – eine Angreifbarkeit, die in den letzten Jahren diversen terroristischen und kriminellen Organisationen keineswegs entgangen ist.
Zusätzlich zu der Verwundbarkeit durch Versorgungsabhängigkeit und Lieferunterbrechungen, die mit der schwierigen Versorgungslage verbunden ist, werden zahlreiche Regionen der Erde, die Öl und Gas liefern, durch den Klimawandel erheblich betroffen sein. Viele Regionen des Mittleren Ostens leiden schon jetzt unter ernsthaftem Wassermangel, der nur noch schlimmer werden wird, wenn die Temperaturen steigen, die Ausbreitung der Wüste fortschreitet und Trinkwasserreservoirs durch steigende Meere versalzen werden. Das ölreiche Nigerdelta mit einer Bevölkerung von 20 Millionen ist für steigende Meere und extreme Witterungsverhältnisse und -katastrophen besonders anfällig, was die wachsende Unruhe in der Bevölkerung noch mehr ansteigen lässt. Die Hurrikans Katrina und Rita im Jahr 2005 haben zum Beispiel auch gezeigt, wie anfällig die Ölinfrastruktur im Golf von Mexiko für Hurrikans von zunehmender Stärke ist.

Ein wichtiges Jahr
Nimmt man die Bedrohungen und Anfälligkeiten ernst, die sich aus dem Klimawandel und den Fragen der Energiesicherheit ergeben, dann sollte die NATO ab sofort eine führende Rolle bei der Bewältigung dieser Probleme spielen. Das wird zur Verbesserung der internationalen Stabilität beitragen und könnte die Notwendigkeit für künftige Militärmissionen der NATO reduzieren. Die NATO kann sich seit dem jüngsten amerikanischen Regierungswechsel auf die Vereinigten Staaten als aktiven Partner stützen, der bei diesen Bemühungen eine wichtige Führungsrolle spielen wird. Im Dezember 2008 hat der damalige designierte Präsident Obama seine Position zum Klimawandel deutlich gemacht, als er konstatierte: „Dies ist eine dringliche Angelegenheit, die die nationale Sicherheit betrifft und sehr ernsthaft angegangen werden muss. Ich werde dafür sorgen, dass meine Regierung das tut.“
Im Hinblick auf die Minderung der schlimmsten Folgen des Klimawandels wird 2009 ein wichtiges Jahr werden: Im Dezember werden die Regierungen der Welt in Kopenhagen zusammentreffen, um die nächste internationale Vereinbarung zu den Treibhausgasemissionen auszuhandeln. Die NATO-Mitgliedsstaaten könnten als machtvoller Block zu einer wirklich sinnvollen Vereinbarung in Kopenhagen beitragen, wenn sie das ganze Jahr über immer wieder öffentlich auf die Bedrohungen hinweisen, die sich aus dem Klimawandel ergeben.
Außerdem sollten die militärischen Umstrukturierungsbemühungen der NATO die Anwendung von Technologien und Strategien mit einschließen, die die Energiesicherheit verbessern, den Klimawandel reduzieren und die Fähigkeit der Entwicklungsländer, die Folgen des Klimawandels zu bewältigen, steigern können. Durch gezielten Einsatz erneuerbarer, effizienter Technologien mit geringem Kohlendioxidausstoß werden die NATO-Länder nicht nur zur Entschärfung künftiger Bedrohungen beitragen, sondern auch die Effektivität ihrer eigenen Einsätze steigern.  In Afghanistan haben diese Technologien – darunter Generatoren zur Elektrizitätserzeugung aus Abfällen und schaumisolierte Zelte zum Einsatz in der Wüste – ihren operativen Wert schon erwiesen. Es würde die Entschlossenheit der NATO-Mitglieder signalisieren, künftige Sicherheitsrisiken durch Klimawandel und Energieprobleme zu verhindern, wenn man solche Handlungsempfehlungen in die künftige langfristige Strategieplanung aufnähme.
Auch wenn die Bedrohungen des Jahres 2009 sich von denen es Jahres 1949 erheblich unterscheiden, kann die NATO bei der Gewährleistung der Sicherheit ihrer Mitgliedsstaaten noch immer eine führende Rolle spielen. Es wäre einfach nur klug seitens der Mitgliedsstaaten und ihrer Militärstrategen, sich auf den fortschreitenden Klimawandel und die schwindenden Energieressourcen einzustellen. Als das bedeutendste Militärbündnis der Welt kann und muss die NATO nicht nur bei der Bewältigung dieser Krisen, sondern bei ihrer entschlossenen Bekämpfung eine Führungsrolle übernehmen.

Sherri Goodman ist General Counsel und Corporate Secretary des CNA (Center for Naval Analysis) und Geschäftsführerin des Military Advisory Board für das CNA-Projekt National Security and the Threat of Climate Change.
David Catarious ist Problemanalytiker und Projektleiter beim CNA; er war Koautor des CNA-Reports "National Security and the Threat of Climate Change".  

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